Phoenix stürmt Kafkas Strafkolonie

Die Stadt Phoenix ist nicht die namenlose Insel, die Franz Kafka für seine beunruhigende Erzählung wählte, doch sie teilt manche Fehler und Laster aus seiner ...

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Von Niko Jens Schwann

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Die Stadt Phoenix ist nicht die namenlose Insel, die Franz Kafka für seine beunruhigende Erzählung wählte, doch sie teilt manche Fehler und Laster aus seiner Geschichte. In „In der Strafkolonie“ präsentiert ein Offizier einem Reisenden, der das System begutachten soll, eine grausame Hinrichtungsmaschine. Dieses technologische Wunder ritzt dem Verurteilten sein Verbrechen mithilfe eines komplexen Geflechts aus Zahnrädern, Rädern und Nadeln in die eigene Haut.

Der unglückliche Häftling weiß oft nicht einmal, wessen man ihn anklagt, gesteht aber nach einer Folter, die sich über zwölf Stunden hinziehen kann. Ob er aussagt oder seine Untätigkeit bereut, spielt keine Rolle, denn dasselbe Schicksal erwartet ihn: der Tod, der ihm auf Anordnung des Offiziers in die Haut graviert wird.

Bis 2021 verkörperten die Phoenix Suns die Tugenden – oder so würde es der Henker nennen – jener Maschine: ein ehrgeiziges, akribisches und gnadenloses Konstrukt, das jeden Rivalen bestraft, der sich ihm in den Weg stellt. Oder fast. Nach den Siegen in den ersten beiden Spielen der Finals jenes Jahres kam die Maschine ins Stottern. Verletzungen, Müdigkeit und ein gigantischer Giannis Antetokounmpo – als wolle er selbst die Medizinwissenschaft trotzen – trieben das System an seine Grenzen. Die Bucks holten den Titel, und Arizonas Front Office versuchte verbissen, mit roher Gewalt zu reparieren, was manchmal nur neue Batterien braucht.

Verzweifelt tat der Offizier alles, um den Reisenden zu überzeugen, dass die Maschine wirklich funktionierte und keineswegs grausam war – nur ein Clash aus Tradition und Kultur. In Phoenix wollte man der Presse, den Analysten und den Fans ebenfalls beweisen, dass der Zweck die Mittel heiligt: Mitten im Machtwechsel von Robert Sarver zu Mat Ishbia modernisierten die Suns ihre Apparatur, um sie tödlicher denn je zu machen.

So tauschte man Elemente wie Chris Paul, Mikal Bridges und Deandre Ayton gegen scheinbar gefährlichere Nadeln aus: Kevin Durant, Bradley Beal und Jusuf Nurkic. Doch wie in Kafkas Geschichte trug diese vorgebliche Perfektion schon den Keim ihres eigenen Untergangs. Nicht einmal die Ankunft eines neuen Kommandanten, Head Coach Mike Budenholzer, konnte das Ganze retten.

Die Maschine, wie in der Kurzgeschichte, zerbrach an ihrer eigenen Ambition. Durant, schon jenseits der Dreißig, sollte die jüngeren, robuster wirkenden Zahnräder ersetzen, die man für ihn opferte, doch es gelang nicht. Niemand sah das Kleingedruckte auf Beals ACME-Garantie, bis seine No-Trade-Klausel ins Spiel kam. Und Nurkic versteckte sich in dem Restschatten seiner einst produktiven Tage in Portland. Verständlich, dass Devin Booker – das Herz des Systems – zwischen Verletzungsproblemen aus 2022-23 und aufgestauter Frustration schwankte, die ihn seitdem begleitet.

In Kafkas Erzählung beanspruchte das grausame Los des Häftlings schließlich auch das Leben des Offiziers, der sich stur an die Maschine klammerte. In Phoenix wandte sie sich gegen ihre Meister: von den Finals 2021 zur vernichtenden Pleite in Game 7 der Semifinals 2022 gegen die Dallas Mavericks. 2023 traf dasselbe Ende ein, nur mit anderem Henker: die Denver Nuggets. Ein Jahr später fegten die Timberwolves sie in der ersten Runde aus den Playoffs. Und als es unmöglich schien, noch tiefer zu fallen, implodierten die Suns komplett. Mit weniger als einem Monat Rest in der Saison 2024-25 rangieren sie außerhalb der play-in-Spots, und nur die übervolle Verletztenliste der Dallas Mavericks hält ihre flackernde Hoffnung am Leben – oder besiegelt ihr unvermeidliches Ende. Die Jäger, gejagt.

Am 16. März 2025 sind die Suns nur noch ein entgleister, unglückseliger Versuch. Kevin Durant, Devin Booker und Bradley Beal bilden auf dem Papier eine tödliche Waffe, aber auf dem Hartholz sind sie beinahe wirkungslos. Die Maschine rotiert weiter, doch ihre Nadeln sind stumpf geworden und durch etwas so Weiches wie Schaum ersetzt. Die Fans in Arizona beobachten – wie der Reisende, der zuletzt aufbricht, vielleicht so wie Durant – das Ergebnis dieses Projekts mit Resignation und Entsetzen. Ihnen versprach man Unendlichkeit, doch sie sinkt mit dem Offizier in den Abgrund der Sportleichen. Und sie wird nicht das einzige Opfer dort sein.

„Verzweifle nicht, nicht einmal darüber, dass du verzweifelst“, heißt es in einem Zitat, das Kafka zugeschrieben wird. Wer Perfektion ohne Grenzen verfolgt, wird nicht erlöst, sondern verurteilt. Diese Suns – oder vielleicht ihr Front Office, vielleicht Ishbia selbst – hocken nun in der Falle ihrer eigenen Fahrlässigkeit. Sie liegen so fern von Kafkas Insel wie von der Sonora-Wüste, mit ihrer Strafbotschaft, die tief in ihr Fleisch geritzt bleibt.

(Fotografía de portada de Troy Taormina-Imagn Images)

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