Magic wechselt im Finale auf Center

Das Team hatte weniger als 24 Stunden zuvor einen zermürbenden Sieg im Forum in Inglewood errungen, gegen Philadelphias Sixers, die in den Finals als Wettfavoriten ...

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Von Niko Jens Schwann

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Das Team hatte weniger als 24 Stunden zuvor einen zermürbenden Sieg im Forum in Inglewood errungen, gegen Philadelphias Sixers, die in den Finals als Wettfavoriten gestartet waren. Der Gesamtstand lautete 3:2, doch um welchen Preis? Wieder einmal, als es darauf ankam, bewies Kareem Abdul-Jabbar, dass er nach wie vor der dominanteste Spieler auf dem Planeten war.

Sogar in diesem Lakers-Kader, der Jerry Wests statisches Playbook durch Jack McKinneys frenetischen Stil (nach nur 13 Spielen von Paul Westhead übernommen) ersetzt hatte, verdiente sich der Captain seine sechste Auszeichnung als MVP der Regular Season. Und als die Playoffs begannen – wo das Tempo merklich sinkt und die Defense extra zupackt – beherrschte er für Los Angeles erneut beide Enden des Courts.

Bei einem weiteren dieser Low-Post-Feeds, bei denen du sofort weißt, dass der Ball im Korb landet, wurde es im Forum plötzlich still. Kareem traf erneut und kam auf 26 Punkte, was den Lakers gegen Ende des dritten Viertels eine 67:65-Führung bescherte. Doch beim Landen nach einem eleganten Finger Roll trat er statt auf das Parkett auf Lionel Hollins’ Fuß. Die Verstauchung war heftig, und zurück in der Kabine folgte das medizinische Urteil: Kareem musste die Nacht im Krankenhaus verbringen. Er fragte, ob Weiterspielen die Verletzung verschlimmern könnte, doch die Ärzte meinten, schlimmer könne sie ohnehin nicht mehr werden.

Schwer bandagiert und gestützt von seiner Meditationspraxis kam Jabbar zurück aufs Feld, legte 14 weitere Punkte auf, schnappte sich sechs Rebounds und besiegelte mit einem and-one das 108:103-Endergebnis. Und das alles auf einem lädierten Fuß.

Am nächsten Morgen war Kareem am Flughafen von Los Angeles unauffindbar, und die Lakers-Entourage war vor dem Abflug entsprechend nervös. Leises Getuschel lag über dem Flieger, und der Sitz ihres Anführers blieb leer. Als der Start fast bevorstand, begann es im hinteren Teil zu summen. Jemand trug einen Lautsprecher auf der Schulter und ließ „Golden Time Of Day“ laufen.

„Keine Angst, der verdammte Magic Johnson ist hier!“

Wer sonst als Earvin Magic Johnson konnte Kareems Rolle – symbolisch und buchstäblich – übernehmen und das Team auf seinen Schultern tragen? Zu diesem Zeitpunkt war der junge Point Guard schon das emotionale Barometer der Gruppe, das Gesicht der brandneuen Showtime Lakers, die Jerry Buss nach dem Kauf des Teams im Sommer zuvor vorstellte. Hollywood war ins Forum gezogen, und Magic war sein größter Star, auch wenn er damals noch nicht der beste Spieler war.

Paul Westhead, der Coach, der nach einem schlimmen Fahrradunfall seines Vorgesetzten zwangsläufig übernehmen musste, fragte sich vor jeder Partie, was McKinney jetzt tun würde. Nach einer fast schlaflosen Nacht fasste er einen Entschluss: „Magic, ich will, dass du Center spielst.“ Diese Ansage hätte jeden verunsichert, vor allem einen Rookie, der noch nicht einmal 21 war. Aber Earvin war kein gewöhnlicher Junge, und er liebte diese Idee.

In den Pre-Game-Analysen zweifelte man, ob die Lakers die Power unter dem Korb gegen Phillys Big Men bestehen könnten. Darryl Dawkins und Caldwell Jones gaben in der Zone richtig Gas, und Julius Erving zu stoppen war ohne einen Rim Protector unmöglich. Mitten in all der Anspannung stand Magic im Spectrum und grinste, schob Jim Chones zur Seite und sicherte sich den Sprungball. An diesem Abend machte er die Regeln. „Gestern lag ich im Bett, blendete alles aus, hörte meine Musik und träumte vom Spiel. In meinem Traum kontrollierte ich den Ball, traf meine Würfe, griff die Rebounds ab. Genau das habe ich hier umgesetzt“, sagte er.

Vom Tipoff an traf Magic gleich auf Jones und erzwang schon im ersten Angriff einen Jump Ball, als Dawkins an Chones vorbeizog und Johnson rüberkam, um zu helfen. Dieses Spiel sollte als die Nacht in die Geschichte eingehen, in der Johnson Center spielte. In Wahrheit übersprang Westhead mit seiner Entscheidung ungewollt drei Jahrzehnte Basketball-Evolution. Magic allein verkörperte das gesamte Lakers-System und sprengte jedes Positionsdenken.

Back to the future

Das war noch keine „positionless“ Spielweise, denn jede Rolle war klar definiert. Doch Johnson spielte wirklich jede Position. Initiator, Passer, Low-Post-Anker, High-Post-Faktor, Face-up oder mit dem Rücken zum Korb, gelegentlicher Shooter… Magic passte sich jeder Aufstellung und jeder Spielsituation an. Earvin war im Grunde das, was wir heute einen Playmaker nennen – die Fähigkeiten eines Point Guards im Körper eines Forwards, und das nicht im Kleinformat. Sein Genie bestimmte die Stimmung des Teams, seine Wucht ließ ihn von überall Aktionen kreieren oder verhindern.

Seine 42 Punkte, 15 Rebounds und 7 Assists wirkten fast unvermeidlich, weil die komplette Offensive über ihn lief – darunter neun Zähler in den letzten zwei Minuten, um einen Sieg klarzumachen, der deutlich härter war, als es das 123:107 vermuten lässt.

Während auf dem Feld schon gefeiert wurde, fand die Pokalübergabe und die ersten Interviews in der Kabine statt. Dort galten Magics erste Worte als NBA-Champion Kareem, der das ganze Spiel mit ausgeschaltetem Ton verfolgt hatte, um sich zu beruhigen – nur um dann jubelnd hinauszustürzen, als Jamaal Wilkes mit einem and-one das Spiel endgültig entschied (Wilkes kam am Ende auf 37 Punkte). „Wir wissen, dass du Schmerzen hast, Big Fella. Aber wir wollen, dass du heute Abend ein bisschen tanzt.“ Genau das tat Kareem dann auch. Er brach sein sonst so ernstes Schweigen, wackelte kurz mit den Hüften und ließ sich gleich darauf wieder mit hochgelegtem Fuß in sein Kissenlager sinken.

Der umstrittene Finals-MVP

Danach wurde der Finals-MVP vergeben, gewählt von einem Gremium aus sieben CBS-Analysten. Vier stimmten für Abdul-Jabbar, drei für Magic. Statistisch hatte der Rookie nicht die besseren Argumente. In fünf Spielen legte Jabbar 33,6 Punkte, 13,6 Rebounds und 4,6 Blocks pro Partie auf. Trotzdem rief man Johnson als Sieger aus. ‚Winning Time‘, die HBO-Serie (nach zwei Staffeln abgesetzt), die die Geschichte der Showtime Lakers erzählt, stellt das Ganze dramatisch als Coup von David Stern dar.

Tatsächlich wuchs Sterns Einfluss in der Administration von Larry O’Brien, der 1980 noch Commissioner war. Der New Yorker Anwalt hatte darauf gedrängt, diese Finals live zu übertragen, was damals nicht Standard war. Stern sah in Johnson immer einen Diamanten, der die Liga mit seiner Ausstrahlung verkaufen konnte. Magic den Finals-MVP zu geben, passte zudem zur Revanche für Larry Birds Gewinn der Rookie of the Year-Auszeichnung und ergänzte Abdul-Jabbars regular-season MVP, sodass alles ineinandergreifen konnte. In Wirklichkeit entschieden aber wohl eher die TV-Verantwortlichen bei CBS: Sie wollten die Trophäe nicht an den weit entfernten, verletzten Kareem vergeben, sondern an den Star, der vor Ort war.

„Ich war derjenige, der diesen Award verdient hatte“, sagt Kareem immer, wenn man ihn darauf anspricht. „Aber ich verstand, warum das Fernsehen ihn lieber Magic geben wollte, weil er eben anwesend war.“

„Es erinnerte mich an die Art Spiel, die Oscar Robertson damals am College zeigte – wenn er 56 Punkte, 18 Assists und 15 Rebounds auflegte. Er konnte einfach alles, weil er wirkte wie ein Mann gegen Jungs. Nur war Earvin eben noch ein Junge gegen Männer“, erklärte er Sports Illustrated.

Dieser Junge hatte soeben das Schicksal einer Franchise verändert, die in 19 Jahren in Los Angeles nur einen Titel geholt hatte.

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Los Angeles Times-Ausgabe vom 17. April 1980

(Cover photo by David Boss-Imagn Images)

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