Hegel hat einmal gesagt, die Geschichte wiederhole sich immer zweimal. Aber Hegel hat nie die Indiana Pacers kennengelernt. Er hat nie erlebt, wie sie in der clutch unerwartete Kräfte mobilisieren, einen Gegner stoppen, der das Spiel schon gewonnen glaubte, oder wie Tyrese Haliburton einen entscheidenden Wurf versenkt, als wäre es bloßes Aufwärmen. Hätte er das gesehen, wüsste er, dass sich die Geschichte in diesen Playoffs schon dreimal wiederholt hat. Und heute Nacht, in vielleicht dem wichtigsten Spiel der Franchise-Geschichte, kam die vierte Wiederholung.
Indiana schnappte sich Spiel 1 der Finals mit 111:110 und einem Drehbuch, das wir schon kennen. Vielleicht ohne den Fatalismus, den die Bucks, Cavs und Knicks erlebten, als sie riesige Führungen in 40 Sekunden verspielten, doch mit derselben Botschaft. Dieses Gefühl, dass ein Team aufdreht, während das andere zerfällt, und die gleiche Moral: Schreib die Pacers niemals ab.
Von Wunder zu Wunder
Als Jalen Williams den Ball klaute und per Dunk auf 15 Punkte Vorsprung für OKC erhöhte, gingen viele von einem 1:0-Start aus. Doch ein Drei-Punkt-Spiel von Nembhard im nächsten Angriff erinnerte die Zweifler daran, gegen wen sie spielten. Bei Carlises Mannschaft ist nichts entschieden, bis die Sirene ertönt. Manchmal nicht mal dann, wie man in New York nur zu gut weiß.
Im Schlussviertel wirkte das Thunder-Team plötzlich gehemmt und gab Indiana die kleinste Rettungsleine. Dieses Team braucht nicht viel. Gegen Ende des Spiels verkrampften alle OKC-Akteure außer Shai Gilgeous-Alexander. Das erleichterte es den Gästen, den MVP zu kontrollieren und den Angriff der Thunder zu stoppen. Dort begann alles.
Technisch gesehen startete es allerdings schon früher. Nach einer ersten Halbzeit, in der Indiana überhastet wirkte und von der Heimdefensive eingeschnürt wurde, fand die Offensive im dritten Viertel zu sich. Bessere Staffelung erlaubte es, Lücken am Brett zu nutzen, verbessertes Passspiel führte zu mehr und besseren Dreiern, und insgesamt wirkte das Team wie ausgewechselt. Vor der Pause waren es noch 19 Ballverluste und nur 45 Punkte.
Sobald OKC Schwierigkeiten bekam zu punkten, wurde das umso deutlicher. Turner traf endlich seine Würfe von draußen oder nach dem pick & pop, Toppin hielt seine starke Serie von der Dreierlinie, und Nembhard tat, was er in großen Momenten immer tut: Er lieferte spektakulär ab. Der Rückstand schmolz durch das Zusammenspiel aller Pacers-Starter. Aller bis auf einen, merkwürdigerweise.
Tyrese Haliburton wirkte am Ende überraschend still, genauso wie über weite Phasen des Spiels, und im Schlussviertel fiel sein Fehlen noch mehr auf. Aber als Shai vergab und er den Ball mit neun Sekunden auf der Uhr bekam, bei 110:109 auf der Anzeigetafel, blitzte ein roter Schimmer in seinen Augen auf. Sein Moment. Er überquerte die Mittellinie, ließ die Uhr runterlaufen und feuerte.
So wie gegen Giannis in Runde eins. So wie gegen Jerome in Runde zwei. So wie er den Madison Square Garden in den Eastern Finals zum Verstummen brachte. Kaum flog der Ball durch die Paycom Center-Luft, war klar, wohin er steuerte: Richtung Korb.
HALIBURTON WINS GAME 1 FOR THE PACERS.
THEY TRAILED BY 15.
ANOTHER CRAZY INDIANA COMEBACK 🚨 https://t.co/heI0ELIivW pic.twitter.com/1Qr6XlDbA7
— NBA (@NBA) June 6, 2025
Und vom Korb direkt ins Herz des Thunder-Teams, das Spiel 1 davonfliegen sah, nachdem es 47 Minuten, 59 Sekunden und sieben Zehntel nie hinten gelegen hatte.
Nicht für Giganten
Die erste Umstellung vor den Finals kam schon vor dem Tipoff, als Daigneault Hartenstein zugunsten von Cason Wallace auf die Bank setzte, um dem Tempo und den unermüdlichen Cuts und Drives der Pacers zu begegnen. Das deutete bereits an, wie diese Partie verlaufen würde.
Die großen Jungs hatten es schwer in dieser Hochgeschwindigkeitsbegegnung, konnten ihre Größe kaum ausspielen. Als Indiana eine Aufholjagd startete, ging Daigneault aufs Extremste und stellte auf small-ball um. Er schickte Shai und Williams (1,98) als größte Spieler aufs Feld, während Carlisle – der schon in der Serie gegen die Knicks Turner öfter auf die Bank beordert hatte – problemlos mitmachte und das Spiel ohne echten Center beendete.
Indy wirkte anfangs überrascht und zwang den Ball immer wieder nach innen, um OKCs fehlende Länge zu bestrafen. Doch das führte anfangs nur zu weiteren Ballverlusten. Erst als die Pacers sich davon lösten und zu ihrem üblichen Rhythmus fanden, kam die Offensive ins Rollen und drehte das Skript. Mal sehen, ob sich das in Spiel 2 wiederholt, wenn Daigneault noch mehr unter Druck stehen wird und weniger Spielraum für Fehler bleibt.
Herausragende Akteure
Tyrese Haliburton
Wäre es anders ausgegangen, würden jetzt alle davon sprechen, wie OKCs Verteidigung ihn mürbe gemacht hat und dass er seinen alten Drive wiederfinden muss. Aber wenn mein Großvater Propeller hätte, wäre er ein Hubschrauber. Der Point Guard hat alle Konjunktive weggewischt und, als ein Ball in seinen Händen landete, der vom Druck des Moments schwer wirkte, trug er ihn zum Korb, als würde er einen Stein ins Meer werfen.
Obi Toppin
Er begann mit ein paar leichtfertigen Turnovern, die eine harte Nacht erahnen ließen. Doch das Gegenteil war der Fall. Mit fünf Dreiern bei acht Versuchen fügte er einer Verteidigung, die die Zone schützen wollte, den größten Schaden zu. Carlisle belohnte ihn dafür mit mehr Spielzeit als in jedem anderen Postseason-Spiel bisher.
Andrew Nembhard
Die meiste Zeit ist er ein Defensivspezialist, doch in der clutch kann er alles. Weil Haliburton abgemeldet war, übernahm er in wichtigen Momenten die playmaker-Rolle, kurbelte die Offense der Gäste mit Anspielen an Turner im pick-and-roll an und versenkte einen Pull-up-Dreier, der die Pacers auf drei Punkte heranbrachte. So wurde das Comeback endgültig greifbar.
Game Stats
Hier sind die Statistiken beider Teams.
Oklahoma City Thunder
Player | MIN | PTS | FG | AST | REB | BLK | STL | +/- |
Luguentz Dort | 36:21 | 15 | 5/10 | 1 | 4 | 2 | 4 | -3 |
Jalen Williams | 36:27 | 17 | 6/19 | 6 | 4 | 0 | 1 | -4 |
Chet Holmgren | 23:32 | 6 | 2/9 | 0 | 6 | 1 | 0 | +4 |
Cason Wallace | 33:16 | 6 | 3/9 | 1 | 2 | 1 | 1 | -13 |
Shai Gilgeous-Alexander | 39:34 | 38 | 14/30 | 3 | 5 | 0 | 3 | +3 |
Alex Caruso | 28:28 | 11 | 3/8 | 2 | 6 | 2 | 3 | +2 |
Isaiah Hartenstein | 17:01 | 9 | 3/5 | 0 | 9 | 0 | 1 | +2 |
Isaiah Joe | 11:08 | 5 | 2/3 | 0 | 0 | 0 | 0 | +3 |
Aaron Wiggins | 9:25 | 3 | 1/2 | 0 | 0 | 0 | 1 | +6 |
Kenrich Williams | 0:39 | 0 | 0/0 | 0 | 0 | 0 | 0 | -2 |
Ajay Mitchell | 4:10 | 0 | 0/3 | 0 | 3 | 0 | 0 | -3 |
Indiana Pacers
Player | MIN | PTS | FG | AST | REB | BLK | STL | +/- |
Aaron Nesmith | 31:10 | 10 | 3/9 | 1 | 12 | 1 | 0 | +13 |
Pascal Siakam | 34:59 | 19 | 7/15 | 3 | 10 | 1 | 0 | -10 |
Myles Turner | 27:37 | 15 | 5/10 | 0 | 9 | 3 | 0 | +8 |
Andrew Nemhard | 32:24 | 14 | 4/11 | 6 | 4 | 0 | 0 | +11 |
Tyrese Haliburton | 38:55 | 14 | 6/13 | 6 | 10 | 1 | 0 | +12 |
Obi Toppin | 25:18 | 17 | 6/9 | 2 | 5 | 0 | 0 | +13 |
Ben Sheppard | 9:05 | 3 | 1/2 | 0 | 2 | 0 | 0 | -12 |
T.J. McConnell | 16:33 | 9 | 4/6 | 4 | 1 | 0 | 1 | -13 |
Bennedict Mathurin | 15:53 | 5 | 1/5 | 2 | 3 | 1 | 0 | -8 |
Thomas Bryant | 8:07 | 5 | 2/2 | 0 | 0 | 0 | 0 | -9 |
(Cover photo: Alonzo Adams-Imagn Images)