Wo Kawhi Leonard aus sieben Metern zum Game-Winning Shot ansetzt, hätte Nikola Jokic wohl die perfekte Passlücke zu Derrick Jones Jr. gefunden, der auf der anderen Seite auf seinen Dreier wartete.
Aber wir verlangen nicht von Leonard, Jokic zu sein.
Denn wenn er einfach nur Leonard sein kann, jener Leonard, dann kriegt jeder Gegner in Runde eins weiche Knie. Sogar die Oklahoma City Thunder.
Es ist Zeit, keine Angst mehr zu haben, ihn zu verhexen: Kawhi ist zurück. „The Klaw.“ La Garra. Der Typ, der LeBron ebenso zunageln kann, wie er einen Jordan-ähnlichen Fadeaway raushaut.
Er ist der Spieler, dem Harden nicht lange überlegt, zweimal hintereinander den Ball zu geben, um gegen OKC den Helden zu spielen. Schon ein paar Tage vorher war er der Held mit seinem Game-Winner gegen die Kings, und später zerstörte er zusammen mit The Beard die Hawks. Ihre wachsende Chemistry ist etwas, das wir mit Paul George nie gesehen haben, doch durch Hardens und Leonards perfekt passende Stärken ergibt das plötzlich total Sinn.
Das ist derselbe Leonard, der am 24. März nur mit zwei Punkten gegen den Top-Seed im Westen verlor, aber am 19. März 33 Punkte auflegte und damit den Spitzenreiter im Osten bezwang.
Dieser Leonard ist kurz davor, wieder ganz da zu sein. Und wenn wir das immer noch nicht glauben wollen, liegt es an unserer Angst, enttäuscht zu werden. Fünf Spielzeiten lang endete alles bei den Clippers aus irgendeinem Grund immer schlecht. Fast immer außerhalb der gewaltigen Fähigkeiten des lustigen Kerls.
Ein perfekter März
Sein Knie ist kaum noch Thema, nicht weil wir Angst hätten, es zu verhexen, sondern weil es tatsächlich wirkt, als hätte es eine Pause eingelegt – und Leonard damit gleich mit.
Der Forward hat im März 11 Spiele absolviert, bei durchschnittlich 35,6 Minuten, was dich fast dazu bringt, Tyronn Lue zuzurufen: „Was soll das? 30 würden doch reichen.“
Aber Kawhi gibt Vollgas, und das Team zieht mit. Gonzalo Vázquez weiß das, und jeder, der momentan bei den Clippers reinschaut, ebenfalls.
It’s the whole team (Top 5 NetRtg in March), but the trio of Harden, Kawhi, and Zubac is currently at a peak in game reads, synergy, and production. They’re playing on autopilot.
Somebody is going to find quite a treat with the Clippers. https://t.co/TvzJMhqlra
— Gonzalo Vázquez (@GVazquezNY) March 27, 2025
Eine Rotation in Bestform
Der Trade von Paul George war nicht nur das kleinere Übel – er war absolut notwendig. Sein Offensiv-Vakuum ist gefüllt, und seine Erinnerung verblasst. Alles dank eines Spielers: Norman Powell. Er legte 41 Punkte auf, als er sich verletzte, doch ist er bereits wieder auf dem Weg zurück zu alter Stärke.
Denn gestern Nacht liefen die Clippers wieder mit ihrem Standard-Fünfer auf. Dieses Lineup stützt sich auf vier Akteure, die Tyronn Lue für unantastbar hält. Und nun kann er sich sogar den Luxus leisten, je nach Situation einen fünften reinzurotieren, dank eines tief besetzten Kaders.
- James Harden, Norman Powell, Kawhi Leonard und Ivica Zubac.
Die vier zusammen. Auf dem Parkett. Wahnsinn.
Als Four-Man Lineup standen sie diese Saison 361 Minuten gemeinsam auf dem Feld: 118,8 Punkte in der Offense, 107,2 in der Defense. Oder ein +11,5 Net Rating, wenn du’s so magst.
Es ist nicht das produktivste Quartett der Clippers. Die Zahlen zeigen, dass Derrick Jones Jr. mit seiner Zwei-Wege-Vielfalt und Energie die anderen am meisten beflügelt. Das bestätigt sich auch in der besten Five-Man Lineup, die das Team aktuell aufs Feld schicken kann.
Im Moment bevorzugt Lue offenbar, den erfahrenen Point Guard Kris Dunn starten zu lassen, damit Harden entlastet wird, selbst wenn das Net Rating negativ ist. Dann justiert er über die 48 Minuten hinweg.
Nach und nach findet Lue – dank eines grandiosen Winter-Trade Deadline – die richtigen Knöpfe. Die Bank war insgesamt bei -1,1, hat aber in den letzten 10 Spielen ein saftiges +5,6 verbucht.
Die Clippers haben sich vom typischen Defensiv-Team (drittwenigste zugelassene Punkte der Liga) zu einer Truppe entwickelt, die defensiv etwas lockerer wird, weil ihre Offense zum wahren Vielseitigkeits-Sturm aufgestiegen ist und im März mit 122,2 Punkten auf Rang vier der NBA steht.
Ben Simmons und Bogdan Bogdanovic tragen derzeit deutlich mehr zum Teamerfolg bei als Kevin Porter Jr. und Terance Mann vor ihren Trades zu den Milwaukee Bucks bzw. den Atlanta Hawks.
Bogdanovic ist zu Lues zweitem Sixth Man geworden (der andere ist Jones Jr.), während Simmons, Batum und Coffey ihre Minuten und Rollen je nach Spielverlauf wechseln.
Das Ergebnis ist ein massiver Schub: ein +7,0 Net Rating mit Simmons und Bogdanovic. Sie bringen Balance und Punch in die Second Unit und sorgen zusammen mit den Startern für eine vielfältige Rotation.
Und wenn wir nur auf den März schauen, wird’s geradezu irre: +15,6 für Bogdanovic, +27 für Simmons.
Und wer hat das beste Net Rating im gesamten Team in dieser Saison?
Kawhi Leonard. In 31 Spielen (29 als Starter) liegt er bei +8,1.
Was ihn zum MVP machte: Two-Way-Exzellenz
Seine Defense steht, seine Offense geht gerade durch die Decke. Der zweifache Finals-MVP macht riesige Fortschritte in Sachen Selbstvertrauen und Trefferquote.
Im März legt Kawhi 24,9 Punkte, 7,2 Rebounds, 3,2 Assists, 1,8 Steals (mein Lieblingswert) und 52,1% aus dem Feld auf. Noch zwei Leckerbissen: 40% Dreierquote bei über fünf Versuchen pro Spiel und nur 1,9 Turnover pro Partie – stark für einen, der so oft am Ball ist.
Gestern Nacht schlugen die Clippers die Knicks zum zweiten Mal in diesem Monat mit 126:113. Kawhi stand satte 41 Minuten auf dem Feld und kam auf 27 Punkte, 10 Rebounds, 7 Assists und null Ballverluste.
Harden (29 Punkte), Powell (19) und Zubac (18) hielten gut dagegen im Duell mit den Knicks-Startern (ohne Brunson). Die Partie kippte aber endgültig, als Harden und Leonard gemeinsam mit den Bankspielern (Batum, Simmons, Jones Jr. und Bogdanovic) auf dem Parkett standen und Thibodeaus Reservisten deutlich überlegen waren.
33 Jahre alt, 3 weitere Jahre Vertrag
Am 10. Januar 2024 verlängerten die Clippers Kawhis Vertrag um drei Jahre und 153 Millionen Dollar. Die Seite füllte sich daraufhin mit Kommentaren, die Steve Ballmers Entscheidung bejubelten:
- „Was für eine Abzocke“
- „Das ist verrückt“
- „Was für ein Dieb“
- „Der toxische Rächer“
- „Bei Kawhis Spielen pro Saison in L.A. kostet sie das fast 1 Million pro Spiel“
Keiner zweifelte daran, was Leonard mit 32 auf dem Parkett leisten kann. Sie stellten in Frage, ob er körperlich verlässlich bleibt. Nicht mal für 82 Spiele, sondern schon kurzfristig gesehen.
Ein paar Monate Anlauf, dann in den Playoffs der Ironman sein. Kann er das schaffen, reicht’s schon.
Wenn Leonards aktueller Deal ausläuft, hat er insgesamt 330 Millionen Dollar bei der Franchise aus Los Angeles verdient. Und wenn er bis dahin einen Ring abliefert – den ersten in der Geschichte der L.A. Clippers – dann wird niemand, niemand, niemand über das Geld sprechen.
(Titelbild von Matthew Hinton-Imagn Images)