Shai dominiert – sei dabei.

Den MVP-Titel zu gewinnen, wird immer mehr zum zweischneidigen Schwert. Ja, es ist Anerkennung. Aber es ist auch eine Ausrede, dich ins Zentrum meist unfairer ...

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Von Niko Jens Schwann

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Den MVP-Titel zu gewinnen, wird immer mehr zum zweischneidigen Schwert. Ja, es ist Anerkennung. Aber es ist auch eine Ausrede, dich ins Zentrum meist unfairer Kritik zu stellen. Harden rückt den Ball unter keinen Umständen raus, Giannis kann angeblich nur rennen und dunken, Jokic bietet in der Zone weniger Verteidigungspräsenz als eine Vogelscheuche, und wenn du Embiid die Freiwürfe wegnimmst, bleibt im Grunde Anthony Bennett. Jetzt ist Shai Gilgeous-Alexander an der Reihe.

Shai wird, ähnlich wie Embiid und sogar Harden, beschuldigt, Fouls zu schinden und Kontakt zu übertreiben, um an die Freiwurflinie zu kommen. Tatsächlich beendete er den gestrigen Abend mit 40 Punkten und 10 Assists—Werte, die in einer Conference Finals erst sechsmal vorkamen—und doch ist der meistgeteilte Clip auf Twitter genau dieser hier.

Kaum jemand redet über seinen Midrange-Auftritt, seine Geduld beim Angriff auf den Verteidiger, der ihn in Spiel 3 noch ausgebremst hatte, seine Fähigkeit, seinen Mitspielern Platz zu schaffen, oder all die anderen Dinge, die er hervorragend macht. Stattdessen, wie bei einigen der zuvor genannten Namen, lassen ein paar schlecht gestutzte Bäume viele den Wald nicht mehr sehen.

Echokammer

Dieser Text soll nicht leugnen, dass Shai Kontakt verkauft, um an die 4,60 zu kommen, sondern das Ganze ins rechte Licht rücken. Sein Fall ist in der NBA nichts Neues, aber er steht einer Social-Media-Lawine gegenüber, die die Wahrnehmung vieler Spieler enorm verzerrt.

Bis vor Kurzem konnte jeder Fouls ziehen und sich ein paar Freiwürfe abholen, ohne dass groß darüber gesprochen wurde. Wenn du das Spiel nicht live gesehen hast, blieb dir die Szene verborgen, und wer sie gesehen hat, ging schnell zur Tagesordnung über.

Heute aber lösen solche Clips im Netz riesiges Engagement aus und tauchen täglich auf. Selbst wenn es unbewusst passiert, erzeugt die ständige Wiederholung derselben Aktionen irgendwann das Gefühl, das sei das Einzige, was ein Spieler macht. Ein Narrativ entsteht, das – gerecht oder nicht – hängen bleibt.

Sogar in ESPN-Übertragungen — Doris Burke zum Beispiel — wird diese Story aufgegriffen und der Spitzname „Foul Merchant“ gerechtfertigt. Die Fans im Target Center rasten bei jedem Pfiff für Shai aus, egal wie eindeutig der Kontakt war. Doch hältst du dich an die Fakten, ist es längst nicht so ungerecht, wie manche tun.

Die Zahlen geben ihm nämlich Recht. Seine Foul-Statistiken sind hoch, aber keineswegs abnorm hoch. Bei Freiwürfen pro 100 Possessions rangiert seine Saison auf Platz 44 aller Point Guards und Shooting Guards, weit hinter den Spitzenreitern.

Player Season Free throws/100 possessions
1 James Harden 2019-20 14,9
2 Michael Jordan 1986-87 14,9
3 Dwyane Wade 2006-07 14,8
44 Shai Gilgeous-Alexander 2024-25 12,4

Verpasste Chance

Das Absurde ist, wie diese Diskussion die Fans gegen einen Spieler und ein Team aufbringt, die auf dem Papier eigentlich Lieblinge sein müssten. Eine junge Truppe, durch den Draft aufgebaut, in einem kleinen Markt, dazu eine ausgeglichene Offensive und starke Defensive. Eigentlich genau das Profil, um in den finalen Playoff-Runden zum neutralen Fan-Favoriten zu werden.

Gleiches gilt für Shai, einen aufstrebenden Superstar, der nicht auf Show setzt, in vielen Bereichen punktet statt nur Dreier zu jagen und zudem hart verteidigt. Vor allem ist er unglaublich talentiert, und genau darum geht es doch letztlich beim Basketball, wenn man die ganzen Narrativen einmal ausblendet.

Trotzdem haben viele in seiner gerade mal zweiten Saison an der Spitze, in der das Team zum ersten Mal wirklich wie ein Titelanwärter wirkt, schon genug von ihnen. Auf Social Media brennt die Luft, und es scheint, als würden sie zum Staatsfeind Nummer 1 erklärt, noch ehe sie ihr Zenit erreicht haben. Schwer vorstellbar, dass der Freiwurf-Hype daran keinen Anteil hat.

Also zurück zum Kern: Lass dir Shai nicht entgehen. Er hat eine der dominantesten Regular Seasons abgeliefert, die wir in letzter Zeit gesehen haben, und sich in diesen Playoffs – trotz einiger Rückschläge – endgültig als Kraft etabliert. Wenn du Basketball liebst, gibt es an seinem Spiel wenig zu kritisieren und viel zu bewundern. Falls du Zweifel hast, wirf noch mal einen Blick auf Spiel 4.

(Cover photo: Jesse Johnson-Imagn Images)

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