Josh Giddey schockt Lakers im wildesten Finale des Jahres

Wie kann ein Spiel 119:117 enden, wenn es 115:110 stand und nur noch 10 Sekunden auf der Uhr waren? Willkommen in der NBA. Die Chicago ...

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Von Niko Jens Schwann

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Wie kann ein Spiel 119:117 enden, wenn es 115:110 stand und nur noch 10 Sekunden auf der Uhr waren? Willkommen in der NBA.

Die Chicago Bulls haben gerade eines der größten Kunststücke vollbracht, die es je in dieser Liga gab. Einen Rückstand von 18 Punkten im letzten Viertel zu drehen, ist schon ein großes Ding. Innerhalb von zwölf Sekunden fünf Punkte aufzuholen, grenzt an ein Wunder. Die Führung wieder zu verlieren, nachdem das Comeback gelungen war, und sie dann per Dreier von der Mittellinie zurückzuerobern, lässt sich nur noch durch höhere Mächte erklären. Mächte, die Josh Giddeys Wurf aus über 15 Metern lenkten und aus diesem Duell Bulls gegen Lakers einen echten Sofort-Klassiker machten.

Ein Shyamalan-Ende

Wie nach dem ersten Mal, als Du The Sixth Sense gesehen hast, gibt es Spielausgänge, die den gesamten Verlauf davor verblassen lassen. Du fühlst Dich benommen, während Du verarbeitest, was in der letzten Minute passiert ist, und vergisst fast die vorherigen 119. Dabei gab es dennoch genug Szenen, die man auch abseits dieses Endes würdigen sollte.

Und in diesem Spiel lief es beinahe genauso.

Der Hammer im dritten Viertel

Die erste Hälfte war eher zum Vergessen, vor allem im Vergleich zu einer zweiten, in der gefühlt jede Minute ein Highlight entstand. Chicago startete einen Versuch, sich abzusetzen, doch es blieb eng und beide Teams gingen mit nur einem Punkt Vorsprung für die Lakers in die Pause. Danach begann die eigentliche Show.

Die Angelenos wollten dieses Spiel nicht wieder auf den letzten Wurf ankommen lassen. Sie hatten das gerade 24 Stunden zuvor in Indiana erlebt und waren dort zwar vom Glück geküsst worden, wussten aber, dass man sich nicht jedes Mal auf Münzwürfe verlassen kann. Also kamen sie mit dem Plan aus der Kabine, die Partie so schnell wie möglich zu entscheiden.

Luka Doncic, der ungewöhnlich langsam startete, drehte im dritten Viertel auf und riss die komplette Lakers-Offensive an sich. Bei zwei Dritteln ihrer Treffer in diesem Abschnitt punktete er selbst oder legte vor. Zusammen mit einer immer bissigeren Verteidigung zwangen die Lakers ihre Gegner zu Offensivflauten, was Doncics Lauf noch verheerender machte.

Redicks Team setzte in diesem Viertel zu einem 13:32-Lauf an und erspielte sich so einen Vorsprung von 16 Punkten, den sie zu Beginn des Schlussabschnitts sogar auf 18 (96:78) ausbauten.

White wacht auf, Giddey macht den Deckel drauf

Was nach dem Korberfolg von Vanderbilt passierte, lässt sich kaum erklären. Genau in diesem Moment erwachte bei den Bulls eine Art Überlebensinstinkt, der sie in einem schon verloren geglaubten Spiel irgendwie drinhielt.

Alles begann mit Coby White, der quasi im Alleingang einen 14:1-Lauf in nur zwei Minuten anführte und sein Team wieder aufweckte. Chicago war plötzlich zurück im Geschäft. Zwar reagierten die Lakers mit einem 0:8-Lauf, der den Abstand kurzzeitig wieder in den zweistelligen Bereich trieb, aber das spielte keine Rolle. Donovans Truppe ist für pures Chaos bekannt – mal zum Guten, mal zum Schlechten. Und diesmal schien sich das Universum mit jedem Wurf auf ihre Seite zu schlagen. Dieses letzte Viertel war der beste Beweis.

Der Hagel an Dreiern war nicht zu stoppen, und die Lakers konnten nur versuchen, die Uhr herunterzuspielen, damit ihnen die Zeit nicht davonlief. Als Reaves dann zwei Freiwürfe traf und es mit zwölf Sekunden auf der Uhr 115:110 stand, sah es so aus, als hätten sie genug getan. Doch …

Chicago suchte sofort den Dreier nach dem Timeout und spielte den Ball in die Ecke zu Patrick Williams, der den Rückstand verkürzte. Während die Fans im United Center noch ungläubig staunten, warf LeBron einen der lässigsten Einwürfe seit Langem direkt in die Arme von Josh Giddey. Der Australier sah den völlig freien Coby White und passte ihm den Ball, damit der Mann, der das Comeback entfacht hatte, es auch vollendete.

Das war der zweite Dreier in nur vier Sekunden. Klingt schon verrückt, doch das war immer noch nicht alles.

Denn die Lakers schlugen zurück. Angeführt von Austin Reaves holten sie sich mit einem schnellen Korbleger aus dem Timeout die Führung zurück, bei nur noch 3,3 Sekunden und keinen Auszeiten mehr für Chicago. Jetzt half nur noch ein Wunder. Giddey bekam den Ball, stürmte bis zur Mittellinie und zog ab. Es gab nichts zu verlieren.

Und alles zu gewinnen. Die gesamte Halle bebte, als Josh’ Dreier wie ein Dolch im Herzen der Lakers einschlug. Die verzweifelten Blicke der Angelenos sprachen Bände, während die Bulls in genau jene Ekstase verfielen, die LA am Vorabend in Indiana erlebt hatte – nur mal zehn.

Manche Siege entziehen sich jeder Logik. Da bleibt nur, sie zu feiern.

Herausragende Akteure

Das waren die Top-Performer dieser Partie.

Josh Giddey

Sein entscheidender Dreier setzte dem ohnehin schon brillanten Auftritt die Krone auf. Wieder einmal lieferte er nach der All-Star-Pause ein Spiel auf Elite-Niveau ab. Sein Triple-Double mit 25 Punkten, 14 Rebounds und 11 Assists spricht für sich.

Coby White

Giddey stand natürlich im Rampenlicht, doch White war der Schlüssel, weil er Chicago ins Spiel zurückbrachte, als die Partie verloren schien. Er legte 15 seiner 26 Punkte im letzten Viertel auf und war damit unverzichtbar für die unglaubliche Aufholjagd.

Austin Reaves

Mit 30 Punkten war er der Topscorer der Begegnung und die beste Option der Lakers, als die Bulls zum Endspurt ansetzten. Wäre es beim Korb mit drei Sekunden auf der Uhr geblieben, hätte er als Held dagestanden. Doch das Schicksal entschied anders.

Statistiken zum Spiel

Hier die Zahlen beider Teams.

Chicago Bulls

Player Minutes Points FG Assists Rebounds Blocks Steals +/-
Kevin Huerter 39:36 21 8/17 5 6 0 1 +12
Matas Buzelis 24:53 12 3/10 1 7 0 0 +3
Nikola Vucevic 32:17 14 6/10 2 8 2 0 +11
Coby White 38:17 26 9/20 9 3 0 0 -1
Josh Giddey 39:51 25 8/19 11 14 0 2 +8
Patrick Williams 29:28 11 4/8 4 5 0 1 -6
Zach Collins 15:43 10 5/5 0 3 0 0 -9
Dalen Terry 12:58 0 0/2 1 2 0 0 -2
Julian Phillips 6:57 0 0/1 0 0 0 0 -6

Los Angeles Lakers

Player Minutes Points FG Assists Rebounds Blocks Steals +/-
Dorian Finney-Smith 30:12 3 1/5 2 4 0 1 -10
LeBron James 38:45 17 8/20 12 5 0 2 -10
Jaxson Hayes 32:04 19 9/11 1 8 1 0 -9
Austin Reaves 36:53 30 10/17 3 1 2 0 -10
Luka Doncic 38:10 25 8/22 8 10 1 2 -1
Jarred Vanderbilt 19:11 7 3/4 1 5 1 2 +9
Jordan Goodwin 18:29 8 3/4 2 2 2 1 +3
Gabe Vincent 13:47 8 3/6 0 2 0 0 +13
Dalton Knecht 12:29 0 0/2 1 3 0 0 +5

Am Boden zerstört

So fühlten sich die Lakers laut Head Coach J.J. Redick, der unumwunden zugab, wie schmerzhaft es ist, einen Sieg auf diese Weise zu verspielen: „Wir sind am Boden zerstört. Das ist ein furchtbarer Weg, ein Basketballspiel zu verlieren.“

„Wir hatten uns in eine gute Position gebracht, haben im letzten Viertel viel zu viele Dreier abgegeben, und trotzdem waren wir noch vorn“, klagte LeBron James. „Ich habe einen richtig üblen Ballverlust produziert, dazu gab es ein Missverständnis beim vorherigen Spielzug. Austin Reaves hat versucht, uns zu retten, aber bei so einem Finish kann man nur den Hut ziehen.“

(Titelfoto: David Banks-Imagn Images)

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