Das mit größter Spannung erwartete Duell am ersten Tag der Playoffs (und erst recht nach dem enttäuschenden Bucks-Pacers-Spiel) hat nicht enttäuscht: Es lieferte Drama, hochklassigen Basketball und echte Star-Power.
Und natürlich war die Partie bis in die letzten Sekunden offen und spiegelte damit die Haupteigenschaft wider, die wir dieser Serie von Anfang an zugeschrieben hatten: sie ist ausgeglichen. Und wie es sich für ein enges Duell gehört, brauchte es eine Overtime, um einen Sieger zu finden.
Diesmal setzten sich die Nuggets durch. In fünf Minuten, die sich wie 50 anfühlten, zeigten sie mehr Biss, Energie und kühle Nerven in entscheidenden Momenten.
Ein friedlicher Beginn
Denver ging mit der neunthöchsten Gegentorquote der NBA über die letzten sechs Monate in die Postseason, doch in den Anfangsminuten hätte man kaum glauben können, dass die Clippers die drittbeste Defense hatten. Nicht, weil Los Angeles schlecht verteidigte, sondern weil beide Offenses so heiß starteten.
Die Dreier fielen fast mühelos – sogar für Kris Dunn. Es war ein schnelles Hin und Her, bei dem die Closeouts oft nur wie dekorative Handbewegungen über den Köpfen flatterten.
Dazu kam eine verblüffende Passivität im eigenen Korbraum beim Team in Blau. Mehrere einfache Layups nach Drives waren die Folge und erinnerten an die Defensivwerte der Regular Season. Als wäre Game 1 allein nicht Anlass genug, die Intensität hochzuschrauben.
JAMES HARDEN. STATEMENT FIRST QUARTER.
15 points, including this step-back to beat the buzzer 😤 pic.twitter.com/txunHmgTpQ
— NBA (@NBA) April 19, 2025
Dank zweier Step-back-Dreier von James Harden kurz vor Viertelende beendeten die Kalifornier dieses erste Viertel mit einer Acht-Punkte-Führung (35:27).
Der Vorsprung wuchs sogar auf bis zu 15 Punkte. Mitten im zweiten Viertel führte Tyronn Lues Team 51:36 und drohte davonzuziehen.
Aber dann nahm David Adelman eine Auszeit (eine der längeren) und erinnerte seine Spieler vermutlich daran, dass es Playoffs sind, vor mehr als 20.000 Fans. Fehler kosten hier doppelt, zweite Chancen sind selten, und es gibt keine nachträglichen Geschenke.
Sie fingen an zu verteidigen. Dann begann Russell Westbrook, einer der Hauptakteure des Abends, den Statistikbogen zu füllen: ein Offensivrebound hier, ein Dreier dort und kurz vor der Pause ein Steal gegen Norman Powell, sodass Denver nur noch mit vier Zählern Rückstand in die Kabine ging.
Die erwartete Ausgeglichenheit war zurück und blieb für die nächsten 30 Minuten gestoppter Spielzeit.
Eine ganz andere zweite Halbzeit
Während die Clippers in der ersten Hälfte flüssiger spielten – Denver vertraute stark auf Nikola Jokics Kreativität am High Post, um mangelnde Bewegung auszugleichen –, lief es nach der Pause genau andersherum.
Los Angeles geriet aus dem Tritt. Ihre Pick-and-Rolls öffneten keine neuen Winkel, Harden und Leonard hielten den Ball zu lange, das Tempo stockte, und die sonst so ertragreiche Anbindung an Ivica Zubac war plötzlich weg.
Auch die Nuggets-Offense glänzte nicht gerade. Oft herrschte Isolation, und beide Defenses machten es schwer. Endlich wurde stark durch Screens gekämpft, die Mannverteidigung war aggressiv, und die Rebounds waren heiß umkämpft.
JAMAL MURRAY FORCES THE TURNOVER 😤
Nuggets have the ball, down 1, 33.5 seconds to go 🍿
LAC-DEN Game 1 on ESPN! pic.twitter.com/CmI71jfDBW
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Wir hatten in der Vorschau betont, dass das Rebounding entscheidend sein könnte, und so kam es auch. Du könntest argumentieren, dass es ohne die Dominanz beim Offensivrebound weder zur Overtime noch zum Sieg der Nuggets gekommen wäre.
Innerhalb der letzten zwei Minuten holten sie fünf Offensivrebounds in etwas mehr als einer Minute am Stück und verhinderten so einen möglicherweise tödlichen Clippers-Angriff.
Doch jenseits der üblichen Protagonisten (Jokic, Harden, Kawhi, Murray…) war es ein erfahrener Veteran mit mehreren Goldenen Schallplatten, der in seinen 34 Spielminuten das Rampenlicht nutzte.
Russell Westbrooks Show
Mit Westbrook auf dem Court zu planen heißt, sich voll und ganz auf Ricky Rubios berühmtes Motto einzulassen und zu hoffen, dass es aufgeht: never too high never too low.
Wenn Du Russ in den entscheidenden Momenten spielen lässt, akzeptierst Du sowohl seine Glanzleistungen als auch seine Aussetzer und hoffst, dass am Ende mehr Glanz übrigbleibt.
Selten sah man Russ (und das will was heißen) so leidenschaftlich und expressiv. Er fühlt sich wieder wertgeschätzt, bekommt Adelmans Vertrauen, ähnlich wie einst bei Mike Malone, und agiert wie ein Stromstoß ohne Isolierung.
Aber heute fiel alles positiv aus. Der ehemalige MVP verdient jede Menge Lob, denn er ließ sein Herz auf dem Parkett.
28 Sekunden vor Ende des vierten Viertels versenkte Russ – genauso offen gelassen wie Kris Dunn auf der anderen Seite – einen Dreier, der schon wie der entscheidende Treffer wirkte. Doch sein Ex-Teamkollege aus OKC und Houston, James Harden, konterte mit einem schnellen Floater, den er über Jahre perfektioniert hat, und gab den Nuggets so die Chance, Game 1 doch noch zu holen.
Wieder setzten sie auf Russ, der den Dribble verlor, dann verzweifelt versuchte, den Ball am Verteidiger abzuprallen, doch die Uhr lief ab. Overtime.
Voller Einsatz in der Overtime
Die Show ging dort weiter. Weil Porter Jr. unsichtbar blieb, übernahm Aaron Gordon mit seiner starken Physis. Murray legte punktuell Scoring-Impulse auf, während Kawhi Leonard weniger Würfe nahm, als er eigentlich sollte, und Harden die Hauptlast im Angriff trug.
Unterdessen wechselte Westbrook zwischen kurios verlegten Layups und krachenden Fehlwürfen von Downtown und brillanten Aktionen wie zwei wichtigen Offensivrebounds und – hier zahlte sich Beharrlichkeit aus – der spielentscheidenden Ablenkung, die einen weiteren Clippers-Turnover erzwang und den hart erkämpften Sieg rettete.
Sieh es Dir an und glaub es.
RUSSELL WESTBROOK FORCES THE TURNOVER!!
NUGGETS WIN GAME 1 🔥 pic.twitter.com/nWOpRyxShg
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Bei noch zehn Sekunden auf der Uhr und drei Punkten Vorsprung für Denver (110:107) suchten die Clippers nach dem Ausgleich. Doch Westbrook blieb sich treu. Er sprang genau im richtigen Moment hoch, tippte den Ball von Hardens Händen weg, und die Schiedsrichter gaben den Ballbesitz an die Gastgeber.
Jokic machte an der Freiwurflinie mit zwei Würfen alles klar. Damit holten sich die Nuggets einen Sieg, der von Einsatz, Wille und jenen kleinen Details lebte (Goaltend in letzter Sekunde, Kawhis teurer Turnover in der Crunch Time, Van Gundys cleveres Defensivspiel…), die den Gameplan in den Hintergrund drängten.
Jeff Van Gundy REFUSED to give Nikola Jokic the ball 🤣 (via @NBA) pic.twitter.com/Qkow1sgbNJ
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Wichtige Akteure
Die üblichen Verdächtigen. Die gleichen Namen. Stars der Liga seit einem Jahrzehnt.
Kawhi Leonard
In der ersten Hälfte stärker als in der zweiten. Er muss unter Druck öfter den Ball fordern, denn niemand hat seine körperliche Überlegenheit in der Midrange. Kein guter Abend beim Ballhandling. 22 Punkte, 3 Rebounds und 7 Turnover.
James Harden
Unumstrittener Anführer. Unermüdlicher Antreiber. Talent in Hülle und Fülle. Er kam auf 32 Punkte, 11 Assists und 6 Rebounds – ganz der Beard, wie man ihn kennt. Mehr kann man kaum verlangen.
Nikola Jokic
Der beste Spieler der Welt. Selbst als er erschöpft wirkte, fand er noch Reserven, warf sich nach freien Bällen und überlistete jüngere, athletischere Gegenspieler. Er denkt immer einen Moment schneller als alle anderen. Er macht alles richtig (nur der vertikale Ringschutz ist nicht sein Ding).
Am Ende verbuchte er 29 Punkte, 12 Assists, 9 Rebounds und 3 Steals.
Aaron Gordon
Murray zeigte wie gewohnt Höhen und Tiefen, erzielte 21 Punkte und traf wichtige Würfe. Aber Aarons Gordons Aufdrehen in der zweiten Halbzeit drehte das Spiel. Er attackierte den Korb furchtlos und erarbeitete sich fünf Offensivrebounds, was begeisterte.
Der Forward schloss mit 25 Punkten, 8 Rebounds (fünf davon offensiv) und 2 Steals ab.
Russell Westbrook
Wie gesagt, Westbrook blieb Westbrook. Im letzten Viertel zeigte er alles: Alpha und Omega, Yin und Yang, Liebe und Kummer. Aber diese wiederbelebte Vintage-Version des Point Guards muss man einfach bewundern.
Er wurde zum heldenhaften Unruhestifter in Game 1 mit 15 Punkten, 8 Rebounds, 3 Assists, 2 Steals und einer +7-Bilanz.
(Cover-Foto von Isaiah J. Downing–Imagn Images)