In der NBA vergeht kein einziger Tag (insbesondere in der nachrichtenarmen Augustzeit), ohne dass irgendein Ex-Spieler in einem Podcast oder TV-Panel behauptet, dass früher alles … besser war? Dabei geht es vor allem um „Toughness“ – wie in diesem wilden Dschungel, in dem sich Stars mit Ellenbogen durchsetzen mussten, die heutige Generation begnadeter Virtuosen einfach verschlungen worden wäre. Das kommt in allen Lebensbereichen vor. Eltern, die alles für ihre Kinder gegeben haben, betonen oft, dass ihre Sprösslinge es doch viel einfacher hätten, was von Anfang an der eigentliche Zweck war. Die Kluft zwischen den Generationen ist unüberbrückbar und voller Groll. Im Sport ist das aber normalerweise nicht so ausgeprägt.
Es stimmt, dass Sport früher insgesamt härter war und manchmal regelrecht gewalttätig. Doch in keiner anderen Disziplin ist das für Zeitzeugen älterer Epochen so ein Grund zum Prahlen wie in der NBA. Du hast nie gehört, dass Pelé, Maradona oder Eusébio damit hausieren gingen, wie viele Tritte sie einstecken mussten, verglichen mit dem Schutz, den moderne Fußballstars genießen. Dennoch gibt es eine gewisse Mystik – eher literarisch oder durch die Popkultur verklärt – rund um Teams wie Carlos Bilardos Estudiantes de la Plata oder Wimbledons „Crazy Gang“.
Die Last der Vergangenheit
Nostalgie ist ein immer stärkerer Faktor in der Unterhaltungswelt, zu der auch der Sport gehört. Filme und Videospiele bringen jeden Monat Remaster, Remakes, Reboots oder spirituelle Nachfolger der einst geliebten Reihen für mittlerweile ergraute Generationen heraus. Und ehemalige Spieler (Gilbert Arenas, Kendrick Perkins, Charles Barkley oder Charles Oakley – Du kennst sie gut) spielen mit dieser kollektiven Faszination, um alles Vergangene hochzujubeln und das Gegenwärtige und Zukünftige abzuurteilen. Die gängige Idee ist, dass heutige Spieler damals nicht hätten überleben können, als könnte man die meisten früheren Athleten einfach in eine immer professionellere und dynamischere NBA verpflanzen.
Genau hier entsteht das sinnlose Unterfangen, Epochen miteinander zu vergleichen. Besonders wenn es um die Mittelschicht der Liga geht. Wenn man den heutigen Stephen Curry ins Jahr 1979 versetzen würde, als der Dreipunktwurf gerade eingeführt wurde, würde das das Spiel völlig sprengen. Dasselbe gilt, wenn man Wilt Chamberlain – der seinerzeit schon sämtliche Rekorde gebrochen hat – ins Jahr 2024 holen würde, wo er die Gravitation des Spiels verzerren und es wieder stärker auf den Zweipunktwurf ausrichten würde. Es ist vernünftiger anzunehmen, dass Spieler mit Elite-Talent in jeder Ära erfolgreich wären und dass alle anderen ein Produkt ihrer Zeit sind.
Deshalb ist es absurd, revisionistische Ansichten aus ihrem Kontext zu reißen. Trotzdem kehren wir immer wieder zu diesen oberflächlichen Debatten zurück – dieses Jahr gipfelte das in TikTok-Videos, die den „Betrug der 90er-Basketball-Ära“ anprangerten und damit unfassbare Aufmerksamkeit erlangten. Vor allem im Namen der Rivalität – oft als Generationskonflikt inszeniert – zwischen LeBron James und Michael Jordan um den GOAT-Status.
Anthony Edwards bricht die ungeschriebenen Regeln
Die Spieler von heute halten sich normalerweise aus diesen „Soft vs. Plumbers“-Debatten heraus. Meist behandeln sie die Geschichte der Liga als heilig, auch wenn es immer mal einen Nick Young gibt, der, sobald er vor ein Mikrofon tritt, scheinbar allergisch auf vernünftige Argumente reagiert und Kontroversen liebt. Genau dieser weit verbreitete Respekt ließ Anthony Edwards’ jüngste Aussagen hervorstechen. Vor ein paar Tagen erklärte der Timberwolves-Guard, dass es vor Jahren „nur Michael Jordan gab, der wirklich Skills hatte“. Fairerweise räumte er ein, dass er nicht viel Basketball vor dem Jahr 2000 gesehen habe.
„Damals hab ich es ja nicht miterlebt, also kann ich nicht viel sagen. Sie sagen, es war früher härter, aber ich glaube nicht, dass damals irgendjemand wirklich Skills hatte. Jordan war der Einzige, der wirklich welche hatte, weißt du, was ich meine? Deshalb haben die Leute so reagiert: ‚Oh mein Gott!‘, als sie Kobe Bryant sahen. Aber jetzt sind wir alle skillvoll.“
— Anthony Edwards in einem Interview mit der Washington Post
Seine Aussagen verärgerten zwei Persönlichkeiten, die sich sonst selten in diese Debatten einmischen. Vor allem deshalb, weil sie in der Liga geblieben sind und wissen, wie die Dinge wirklich laufen – vielleicht das beste Gegenmittel gegen Unwissenheit, Klischees oder vorschnelle Urteile. Earvin „Magic“ Johnson und Isiah „Zeke“ Thomas reagierten umgehend auf Edwards’ Worte.
Magic machte seinen Standpunkt mit einer Portion Verachtung deutlich, als er bei Stephen A. Smith auf ESPN auftrat. „Ich antworte nie auf Typen ohne Ringe. Da gibt’s nichts zu sagen. Edwards hat weder im Profi- noch im Collegebereich jemals etwas gewonnen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er in der Highschool gewonnen hat.“ Noch interessanter war Thomas’ Reaktion.
Der ehemalige Pistons-Star, so gerissen wie eh und je, nutzte die Gelegenheit, um gegen Jordan selbst auszuteilen und gegen dessen Art, die Erzählung sowohl zu aktiven Zeiten als auch besonders nach dem Karriereende durch Projekte wie The Last Dance zu formen. „Propaganda wirkt, also pass auf, wem du glaubst.“ Noch immer aufgebracht gab er anschließend detailliertere Ansichten preis: „Die einzige betonte Fähigkeit [in der heutigen NBA] ist der Dreipunktewurf, der die Illusion erzeugt, dass Spieler und ihre Skills sich zu einer ganz neuen Spezies entwickelt haben. […] Sie wirken heute schneller, weil Hand-Checking und das Greifen von Spielern in Bewegung nicht mehr erlaubt sind“, merkte er auf X (früher Twitter) an.
Weil diese Botschaft schriftlich erfolgte, kann der fehlende Tonfall leicht verschleiern, was wirklich dahintersteckt. Ob beabsichtigt oder nicht, legt sie jedoch klar dar, wie sich Basketball in Bezug auf die körperlichen Voraussetzungen und die technischen Fähigkeiten der Spieler verändert hat. Am besten illustriert wird das durch Michael Jordan selbst, der stärker werden musste und dabei etwas von seiner einstigen Leichtigkeit verlor – damals war er zwar schon der beste Spieler der Welt, aber eben noch nicht der strahlende Winner, der er später wurde.
Details, die unterwegs verloren gehen
Wie so oft im 280-Zeichen-Kosmos oder in den Talkrunden voller „Hot Takes“, wo es nur darum geht, in kürzester Zeit den größten Knalleffekt zu erzielen, geht viel an Nuancen verloren. Genauso fehlt die Erkenntnis, dass auch die heutige NBA auf ihre Weise hart ist. Früher setzten extreme Kontakte die Gesundheit der Spieler aufs Spiel, heute gibt es stattdessen Phasen hochintensiver Belastung in kurzen Intervallen, die Körper zermürben, die dafür eigentlich nie ausgelegt waren.
Edwards selbst ist auch ein perfektes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, stärker zu werden und Muskeln aufzubauen, ohne zu viel Schnelligkeit oder Beweglichkeit zu verlieren. Genau das war in jeder Ära das Ideal und verdeutlicht eine weitere offensichtliche Tatsache: Der durchschnittliche Spieler ist heute aus reiner Notwendigkeit athletisch stärker als früher.
Wesentlich ist, wie ungerecht es ist, das durchschnittliche Talent einer Epoche zu vergleichen, die von Hyper-Professionalisierung und weltweiter Reichweite geprägt ist, mit den 1990ern, in denen wissenschaftliche Methoden oder Datenanalysen kaum eine Rolle spielten und erst zaghaft Barrieren fielen. Das kannst Du auf jede frühere oder künftige Phase anwenden.
Trotzdem sind Vergleiche unvermeidbar. Wir wollen wissen, woher wir kommen, um zu ahnen, wohin wir gehen. Außerdem haben wir Menschen das Bedürfnis, das, was wir gerade sehen, in einen größeren historischen Zusammenhang der Liga einzubetten. Doch es scheint unmöglich, diese Diskussion auf einer zivilisierten Ebene zu führen. Sie wird genährt von der Tendenz, nur auf Stimmen zu hören, die unsere eigenen Vorurteile bestätigen. Dadurch verschwinden ausgewogenere, aber dennoch pointierte Kritiken – wie etwa jene von Kevin Garnett und Paul Pierce – oft im Nichts, bis sie irgendwann online wieder ausgebuddelt werden, um dann von einem für extreme Positionen bekannten Publikum verschlungen zu werden.
Dieser Artikel will keine Debatte lösen, die längst unrettbar festgefahren ist. Er soll nur darauf hinweisen, welche neuen Ausmaße diese Hysterie annehmen könnte, wenn Figuren wie Edwards mit unbegründeten Behauptungen durchstarten. Ex-Spielern, TV-Runden und gewissen Internet-Bubbles versuchen wir – zumindest versuchen wir es – meist keine allzu große Bedeutung mehr beizumessen. Doch es ist schwieriger, wenn solche Kommentare von einem aufstrebenden Star kommen, der immer noch aktiv auf dem Court steht und Trikots verkauft. Bill Russell hat zu seinen Lebzeiten auch scharfzüngige Sätze von sich gegeben. Aber sein Beispiel – wie so oft im Leben – zeigt, wie man eine Beziehung zwischen Generationen bereinigen kann, die dazu verdammt sind, aneinanderzugeraten. 2017 veranstalteten TNT und die NBA eine Zeremonie zu seinen Ehren und baten Kareem Abdul-Jabbar, Shaquille O’Neal, David Robinson, Dikembe Mutombo und Alonzo Mourning auf die Bühne, um Russells Vermächtnis zu würdigen. Nachdem er jeden begrüßt und sich bedankt hatte, verstummte Russell, zeigte nacheinander auf die Anwesenden, verdeckte seinen Mund, als wolle er ein Geheimnis vor dem Mikrofon und dem Publikum verbergen, und flüsterte den längst legendären Satz: „I would have kicked your ass.“ Eleganter kann man einen ewigen Konflikt wohl nicht beilegen.
(Cover photo by Gregory Shamus/Getty Images)